Über die Straße Unter den Linden gibt es eine geradezu überquellende Fülle von Populär-Literatur, von Bildbänden, Panoramen und historischen Kartenübersichten (Ausschnitt vgl. Literaturliste). Am Beispiel dieser Straße ließe sich ein großer Teil der bewegten Geschichte der Stadt erläutern. In der folgenden Zusammenstellung wurde das Hauptaugenmerk auf den „Charakter“ der Straße gelegt:
Jagd- und Reitweg
Seit der Einrichtung des Tiergartens 1527 existierte hier eine unbefestigte Straße, die 1573 zum Reit- und Jagdweg erklärt wurde und das Berliner Stadtschloss mit dem Tiergarten verband. 1647 wurden die ersten Linden und Nussbäume gesetzt, die allerdings bald darauf wieder abgeholzt wurden. Nach dem Dreißigjährigen Krieg und nach Abschluss des Westfälischen Friedens 1648 verfügte Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, bereits aus seinem kriegsbedingten Aufenthalt in Kleve „brieflich die Wiederherstellung des Berliner Schlosses und ordnete dabei auch die Anlage eines Jagd- und Reitweges an. Dieser sollte vom Schloss zum Tiergarten führen und von Linden- und Nußbäumen beschattet werden.“ „Mit der Lindenallee wollte der Kurfürst [Friedrich Wilhelm] eine weitläufige, breite Prachtstraße schaffen.“ 1673 entstand die erste sechsreihige Lindenallee, die schon wenige Jahre später auf vier Baumreihen reduziert wurde. Es war von Anfang an die breiteste Straße Berlins.
Renommierkorso
„Die […] Allee begann an der Schlossbrücke, die damals Hundebrücke genannt wurde, […] und endete etwa in Höhe der heutigen Schadowstraße, wo schon der Tiergarten begann“ nach 942 Metern. Der Enkel vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm I, der Soldatenkönig, verlängerte „die künftige Staats- und Paradestraße, die aber von Anfang an auch als Flanierkorso dienen sollte“ in den Jahren 1731/32 aufgrund der Vergrößerung Berlins bis zum heutigen Pariser Platz. „Das neue Tor, das hier nun errichtet wurde, war zwar noch nicht unser Brandenburger Tor, hieß aber schon so.“
„Berlin, die Residenz der jüngsten Großmacht Europas [… war] zu einer Stadt geworden, von der man in aller Welt sprach und die man gesehen haben musste, wenn man mitreden wollte. Und wo immer man von Berlin sprach, dort wurde auch die Straße ´Unter den Linden` genannt, denn sie war Berlins bekannteste und renommierteste Straße.“ Zu dieser Zeit war es „ein ungeschriebenes Gesetz, dass diese Allee der Erholung und dem Vergnügen der Berliner vorbehalten bleiben sollte und deshalb nicht weiter bebaut werden durfte.“ „Im Mittelpunkt der architektonischen Ausgestaltung Berlins stand [dagegen] das Forum Fridericianum [am östlichen Ende der Straße Unter den Linden], dessen Plan Friedrich II. zusammen mit dem Architekten Georg Wenceslaus von Knobelsdorff […] entworfen hatte. Auch wenn es nicht in seiner ursprünglichen Form verwirklicht werden konnte, so trug auch die ´kleine Lösung` imposante Züge. Als erstes Bauwerk entstand 1741 die Oper […]. Es folgte der Bau der St. Hedwigskathedrale, das Prinz-Heinrich-Palais (heute: Hauptgebäude der Humboldt-Universität) und das Bibliotheksgebäude (die `Kommode` am Opernplatz, heute: Bebelplatz).“
Die Erschließung des Tiergartens erfolgte ebenfalls durch den Baumeister von Knobelsdorff und war ein voller Erfolg: „Sogar […] im schneereichen Winter von 1748 nahmen die Berliner an sonnigen Tagen gern die Gelegenheit wahr, durch hin und wieder kniehohen Schnee bis in die ´Puppen´ hinaus zu stampfen.“ Doch schon 1760 am Ende des „Siebenjährigen Krieges“ erlebte die Straße Unter den Linden den ersten Flüchtlingsstrom zu beiden Seiten der Mittelpromenade in Richtung Westen, nachdem der Berliner Stadtkommandant General von Rochow die durch die Russen angebotene Kapitulation abgelehnt hatte und die Stadt von Osten aus beschossen wurde.
Prunk- und Prachtstraße
Danach ließ „König Friedrich Wilhelm II. […] den Straßenzug durch den 1791 fertiggestellten Neubau des Brandenburger Tores aufwerten. Die Straße sollte zur Prunk- und Prachtstraße der preußischen Residenz werden.“ Nachdem das neue Tor „im August 1791 dem Verkehr übergeben wurde, geschah das ohne Feierlichkeiten.“ So war es dann Napoleon „vorbehalten, dem Brandenburger Tor eine politische Bedeutung zu geben, [indem] er nach seinem Sieg bei Jena im Oktober 1806 an der Spitze seiner Garden hoch zu Roß in Berlin einmarschierte“. Nach 1813 „erhob sich das Volk gegen die napoleonische Unterdrückung; die Rückführung der Quadriga glich einem Triumphzug und wurde als Symbol der Befreiung von der Fremdherrschaft überall begeistert begrüßt.“ Das Brandenburger Tor und die Straße Unter den Linden dienten seither „der Demonstration der Macht, sah[en …] Paraden, Fürstenempfänge, […] ausziehende und heimkehrende Truppen.“
Zu Friedenszeiten „Um die Jahrhundertwende [1700-1800] zeigte die Allee ein prächtiges und einheitliches Bild. Noch gab es Unter den Linden aber kaum Läden und Geschäftshäuser.“ „Die Menschen trafen sich auf der sechzig Meter breiten Straße, sie versammelten sich und gingen spazieren.“ „Ein mit Bänken besetzter Kiesweg in der Mitte, wie ihn keine andere Straße in Berlin besaß, lud zum Verweilen ein.“ Allerdings „verursachten die Reiter und Karossen hohe Staubwolken.“ Deshalb wurden 1799 „die Fahrwege zu beiden Seiten der Promenade befestigt.“ 1825 wurden auch die ersten Granitbahnen auf den Bürgersteigen angelegt.
Revolutionsstraße, 1. Teil
„Am 18. März 1848 kommen die Berliner zu einer Protestversammlung gegen die Willkür des Militärs vor dem Königlichen Schloß zusammen… Friedrich Wilhelm IV. lässt seine Truppen gezielt in die Menge schießen. Bewaffnete Berliner errichten daraufhin ca. 100 Barrikaden“ z.B. auch am Pariser Platz. Doch schon einen Tag später wurde damit begonnen, die Berliner Garnison aus der Stadt herauszuführen. Damit wurde die Forderung des Volkes erfüllt, „aber niemand fand sich, der den Befehl zum Abzug aller Truppen aus Berlin gegeben haben wollte.“
Großbürgerlicher Boulevard und Einkaufsstraße
„Auch im bürgerlichen Zeitalter und als Promenade der Müßiggänger behielt [… die Straße Unter den Linden] ihren Charakter als Staatsstraße. Sie repräsentierte Preußen, und zwar sowohl das militärische, das sich im Zeughaus in aller Pracht zeigte, als auch das geistig-künstlerische, für das schon früh das Opernhaus stand.“ In der sogenannten Gründerzeit nach 1871 entwickelte sich die Straße „von der biedermeierlichen Promenade zum eleganten, großbürgerlichen Boulevard“, aber erst mit „der Eröffnung des Bahnhofs Friedrichstraße am 1. Mai 1882 begann der eigentliche Boom […) der erste Weg des Berlin-Besuchers galt den Linden.“ Diese war buchstäblich gepflastert mit wirtschaftlichen Erfolgen und Niederlagen, so ging z.B. das 1896 eröffnete erste Berliner Kino schon nach wenigen Monaten Pleite.
„Am frühen Nachmittag wimmelte die breite Allee mit ihren breiten Straßenseiten und der Mittelpromenade von einem unaufhaltsamen Strom von Spaziergängern, Damen und Herren der sogenannten `Berliner Gesellschaft`, eleganten Stutzern mit Monokel, Zylinder und leichtem Stöckchen, Gardeoffizieren und Kasinohelden […) Landräten und Beamten[..) behäbigen Rentiers [..) Studenten auf `Couleurbummel` und baedekerbewaffneten Fremden, die hier auf und ab gingen und die Geschäfte mit ihren vielen teuren Kleinigkeiten betrachteten.“
In den 1920-1930er Jahren versammelte sich die sogenannte Elite aus Politik, Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft und auch der „Halbwelt“ und der Verbrecher in den Hotels, den Weißbierstuben und Teegesellschaften und später in den Cafés und auch auf der Straße. Die Nutzungsmischung war überaus vielfältig: Botschaften, Banken, Hotels, Reisebüros, Bibliothek, Einkaufsläden mit gehobenen (Preis-)Niveau wie z.B. Juweliere, Herrenausstatter, Stoffe, Maßschneidereien, Cigarren-Import, Photographische Ateliers, Parfümerie, Blumen- und Samen-Spezialisten, Papiere, Kunsthandlungen, Autoniederlassungen, Buchhandlungen. Weiterhin Theater (Linden-Cabaret), Kabaretts (z.B. „Chat Noir“), Castann´s Panaopticum. Gemäldeausstellungen (z.B. das 1919 eröffnete weltweit erste Museum für zeitgenössische Kunst im Kronprinzen-Palais), Oper, Aquarium (1869-1910, das größte der Welt, initiiert und geleitet von Alfred Brehm), Zuckerbäckereien, Konditoreien (Kranzler, Bauer, Victoria, u.a.) feine und auch zwielichtige Nachlokale, Tingeltangels (volkstümlich Singspielhallen, z.B. das „Varieté Gebirgshallen“), Vergnügungs-Weinrestaurants (z.B. die „Fledermaus“), usw.
Da die Fassaden dieser Prachtmeile zunehmend durch Reklameschilder verunziert wurden, führten Bürgerproteste „schließlich zum Erlass des `Ortsstatus zum Schutze der Stadt Berlin gegen Verunstaltung` durch den Magistrat im Jahr 1911 und erweiterter Form 1913, wodurch unter anderem die Anbringung von Reklameschildern am Pariser Platz, Unter den Linden usw. nur mit polizeilicher Erlaubnis gestattet war.“
„Der anwachsende Besucherstrom und der Wagenverkehr verlangten eine Umgestaltung. 1902 verschwanden die beiden äußeren der vier Baumreihen. Zeitgleich wurde der südliche Reitweg beseitigt, der nördliche Reitweg auf 4 Meter ungefähr halbiert, 1922 wurde er ganz entfernt. Die Fußwege wurden [dagegen) breiter und mit neuen Linden bepflanzt.“
Revolutionsstraße, 2. Teil
„In der letzten Juliwoche des Jahres 1914 kommt es Unter den Linden und vor dem Königlichen Schloß zu spontanen Demonstrationen der Kriegsgegner. Gegen die berittene Polizei wehren sich die Arbeiter mit Spazierstöcken, an deren Ende ein langer Nagel eingearbeitet ist. Er dient der Abwehr der Pferde. SPD und Gewerkschaft mahnen zur Besonnenheit. Die Partei ruft zu Protestversammlungen im Saale auf.“ „Am 10. Dezember 1918 marschieren `heimkehrende Felddivisionen` in Berlin ein. Sie sollen helfen, die Revolution zu ersticken. Der `Volksbeauftragte` und Vorsitzende der SPD, Friedrich Ebert, […] begrüßt die Truppen am Brandenburger Tor mit einer Rede: `Kein Feind hat Euch überwunden. Nun liegt Deutschlands Einheit in Eurer Hand´.“
Aufmarschstraße
Doch schon 1934 „begann eine weitere Umgestaltung des 1.241 Meter langen Boulevards zur Aufmarschstraße der Nationalsozialisten […) Die Mittelpromenade wurde verschmälert, die beiden Fahrdämme auf 14 Meter verbreitert.“ Ab 1934 wurden die Lindenbäume abgehackt und der „Reichsbühnenbildner“ ließ hohe Fahnenmaste aufstellen, „von denen die zehn und mehr Meter langen Hakenkreuzfahnen herabhingen.“ Vor der Olympiade 1936 wurden 370 Silberlinden gepflanzt. Es erfolgte ein völliger Umbau der Mittelpromenade: Ein festes Schotterbett gestattete nun das befahren mit schweren Fahrzeugen.“
Die Straße Unter den Linden war als Teil der 50 Kilometer langen Ost-West-Achse vorgesehen, die nach einem rücksichtslosen Totalumbau Berlin zur „Welthauptstadt Germania“ machen sollte.
Trümmerbahn und Wiederaufbau
Nachdem „in der Nacht vom 9. zum 10. April 1941 […] die ersten Bomben auf die Linden [fielen und] in der Schlacht um Berlin“ am 21. April die ersten Granaten einschlugen machten die SS-Einheiten „die Straße und den Reichstag zum letzten Schlachtfeld, es wurde um jedes einzelne Haus mit den russischen Streitkräften gekämpft.“ Am 3. Februar 1945 wurde dieser „historisch bedeutsamste Teil der Stadt […] zerstört oder verbrannt.“ „Von den 64 Gebäuden, die früher einmal zwischen Brandenburger Tor und Universität gestanden hatten, waren nach Kriegsende nur noch 13 erhalten.“
Es war ein Kraftakt von den Enttrümmerungen mit einer eigens angelegten „Trümmerbahn“ bis zum Abschluss des Wiederaufbaus der meisten historischen Gebäude bereits Ende der 1960er Jahre. „Denkmalpfleger, Architekten und Bauarbeiter unternahmen alles, um den ältesten Teil der Straße in ursprünglicher Schönheit wiederherzustellen. Neubauten schlossen das Gesamtbild der 1390 Meter langen Allee harmonisch ab. Heute erstrahlen die Linden wieder in neuem Glanz und sind ein beliebter Anziehungspunkt für Besucher aus dem In- und Ausland“, so lässt es sich in einer der letzten DDR-Veröffentlichungen über diese Straße nachlesen. Die Bürger sahen es etwas nüchterner: „Nach dem Mauerbau 1961 verlieh der Volksmund der einst eleganten Promenade, die jetzt geradewegs auf die Mauer zuführte, den Ruf der ´repräsentativsten Sackgasse der Welt`.„
Revolutionsstraße, 3. Und 4. Teil
Als am 16. Und 17. Juni 1953 zuerst die Bauarbeiter an der Stalinallee gegen die Arbeitsnormen ihre Arbeit niederlegten und sich daraus „ein Aufstand gegen das kommunistische System in der ganzen DDR“ entwickelte, spielte die Straße Unter den Linden erst am zweiten Tag eine wesentliche Rolle: „Im Regen kamen die Panzer. Sie rollten von den Linden her die Friedrichstraße hinunter zum Checkpoint Charly und bogen zum Potsdamer Platz.“
Ein Irrtum oder eine Irritation, wie sie schon oben (Revolutionsstraße, Teil 1) beschrieben wurde, wiederholte sich mit noch weitreichenderen Auswirkungen am 9. November 1989, als den BerlinerInnen im Ostteil der Stadt mitgeteilt wurde, dass sie die Grenze gen Westen ohne Reglementierung überschreiten könnten und es in der Straße Unter den Linden zu einer Massenbewegung und am Brandenburger Tor zu einem Freudenfest kam.
Hauptverkehrsachse
Damit war die Straße Unter den Linden wieder für den Autoverkehr Teil einer attraktiven breiten Ost-West-Verbindung. Doch entschied sich der Senat nach der Enthüllung des restaurierten Brandenburger Tores am 3. Oktober 2002, das deutsche Symbol für den Autoverkehr geschlossen zu halten, nachdem es zuletzt von ca. 2.000 Fahrzeugen täglich durchfahren wurde. Darüber hinaus gibt es in der Wilhelmstraße zwischen der Straße Unter den Linden und der Behrenstraße vor der Britischen Botschaft einen durch Polder für den Autoverkehr gesperrten Abschnitt.
Die heutige Straße Unter den Linden ist als ein „Freizeitweg“ entstanden, zuerst zum Reiten, dann zum Flanieren. Später kam die militärische Nutzung hinzu und erst in den letzten Jahrzehnten ihrer nunmehr 485-jährigen Geschichte wurde sie zu einer autobahnähnlichen Kraftfahrzeugschneise mit heute bis zu etwa 30.000 Fahrzeugen am Tag. Ein großer Teil dieses Kraftfahrzeugaufkommens dient Stadtbesuchern dazu, diesen hoch gelobten Boulevard vorbeifahrend in Augenschein nehmen zu können. Dennoch dürfte die Mehrheit der Touristen an dieser Stelle der Stadt noch immer zu Fuß unterwegs sein.
Quellenangaben finden Sie in der PDF-Version im Download-Bereich. Eine Zusammenstellung der hier verwendeten Quellen finden Sie „zum Weiterlesen“ in der Literaturliste.