Denkmal Friedrich II auf der nur auf Umwegen erreichbaren Mittelpromenade der Straße Unter den Linden

Berlin war einst die deutsche Hauptstadt des Flanierens und neben Paris und London wohl auch auf europäischer Ebene herausragend. Und dabei spielten z.B. die Friedrichstraße und auch die Straße Unter den Linden eine wesentliche Rolle. Erst promenierten die Fürsten und Könige, später flanierte das Bürgertum und zwischendurch marschierten die Soldaten. Paris ist mit seinen Flaneuren in die Weltliteratur eingegangen. Dagegen muss gesagt werden, dass die Straße Unter den Linden Dichter und Denker offensichtlich weniger zu dichterischen und schriftstellerischen Höhepunkten animiert hat. Dennoch hat sie, die Prachtmeile Berlins, offensichtlich einige Künstler des Wortes beeindruckt, im positiven, wie auch im negativen Sinne.

Der junge Autor Henri Beyle, der später unter dem Pseudonym Stendhal berühmt wurde, schrieb als Angehöriger der napoleonischen Besatzungsarmee an seine Schwester, „[…] dass Berlin an einer ungepflasterten Straße liege, die schon ein wenig vor Leipzig beginne und so sandig sei, dass man in ihr bis zum Knöchel einsinke. […] Wie jemand auf die Idee hatte kommen können, eine Stadt inmitten dieses Sandes zu gründen, könne er nicht verstehen.“

Über den Sand lästerten damals auch Johann Wolfgang von Goethe oder Jean Paul, der allerdings hinzufügte, „[…] dass es nur in einer solchen [Sandwüste] Oasen gäbe, und er hatte mit diesen wohl nicht nur die Salons gemeint, […] sondern auch die Schönheiten […].“E.T.A. Hoffmann erfreute sich dagegen an dem bunten Gemisch von Spaziergängern: „Elegants, Bürger mit der Hausfrau und den lieben Kleinen in Sonntagskleidern, Geistliche, Jüdinnen, Referendare, Freudenmädchen, Professoren, Tänzerinnen und Offiziere.“ Und bezeichnete die Straße als „Sammelpunkt des höheren, durch Stand oder Reichtum zu üppigerem Lebensgenuß berechtigten Publikums.“

Der heute weitestgehend unbekannte Poet F. H. Bothe fasste das Geschehen in seiner „Berliniade“ oder dem sogenannten „Lindenlied“ so zusammen:

„Unter den Akazien
Wandeln gern die Grazien
Und der Mädchen schönste finden
Kannst du immer untern Linden
In Berlin, in Berlin,
Wenn die Bäume wieder blühn. […]
Untern Linden auf und ab
Wallen Herr´n in Schritt und Trab,
Schöne Herr´n und hübsche Herrchen,
Große Narren, kleine Närrchen,
In Berlin, in Berlin […].“

Damit hatte der Dichter die zwei Seiten der preußischen Medaille umrissen, das sehr zivile Flanieren der Mädchen und das Marschieren der Männer, letzteres mit einem Augenzwinkern, oder war`s gar ein kritischer Gedankengang?

Heinrich Heine Denkmal im "Kastanienwäldchen" an der Straße Unter den Linden

Ein anderer weltbekannter Mann, der wenig vom Marschieren hielt, war ebenfalls sehr angetan von den Linden. „Mit seinen ´Briefen aus Berlin` gehörte Heinrich Heine zu den Dichtern, die als erste den Namen der Straße in die Welt trugen.“:

„Wirklich, ich kenne keinen imposanteren Anblick, als vor der Hundebrücke stehend nach den Linden hinauf zu sehen. … Hier drängt sich Prachtgebäude an Prachtgebäude.“ „Ja, das sind die berühmten Linden, wovon Sie so viel gehört haben. Mich durchschauerts, wenn ich denke, auf dieser Stelle hat vielleicht Lessing gestanden, unter diesen Bäumen war der Lieblingsspaziergang so vieler großer Männer… Aber ist die Gegenwart nicht auch herrlich? Es ist just 12 und die Spaziergangszeit der schönen Welt…“

Die Straße Unter den Linden muss damals so schön und kolossal gewesen sein, dass sie die Sinne von gestandenen Mannsbildern auch mitunter verwirrte. Nur zwei Beispiele für sich sehr unterschiedlich entwickelnde Gedankengänge beim Flanieren bzw. Stehen:

„Ja, Freund, hier unter den Linden
Kannst du dein Herz erbaun,
Hier kannst du beisammen finden
Die allerschönsten Fraun.
Sie blühn so hold und minnig
Im farbigen Seidengewand;
Ein Dichter hat sie sinnig:
Wandelnde Blumen genannt.“
(Heinrich Heine, 1822)
„Bist endlich da! Gott sei´s geklagt,
Hast lange warten lassen;
Nun lehrt uns wieder, unverzagt
Den Feind beim Schopfe fassen,
Den Feind in Ost, den Feind in West,
Die Feinde drauß und drinnen,
Zerreiß die Netze dicht und fest,
Womit sie uns umspinnen.“
(Theodor Fontane, 1851)

Diese beiden Zitate zeigen auch das Spannungsfeld zwischen dem Spaß am Gehen, dem eher spielerischen Sehen und Gesehen werden mit der Zurschaustellung der königlichen Prominenz, des Bürgertums und auch des Militärs im 19. Jahrhundert. Eine Verbindung zwischen diesen An-und Aussichten schrieb ein prominenter Gast aus dem dänischen Königreich in sein Tagebuch, Hans-Christian Andersen:

„Schnurgerade Straßen, Palast an Palast,
Man wird müde vom Gehen
Und von der Hast,
Hübsche Soldaten – und gleich bei dem ersten
Spürte ich einen Stich im Herzen,
Und mir entfuhr´s: „Was für ein Körper, welche Bein!
Oh, mein Gott, so stattlich und fein!“
Von ihm stammt auch das geflügelte Wort: „Ging unter den Linden mit Gelüsten.“

Heinrich Heine war als „kein sonderlicher Freund des Militärwesen“ in der Seele gespalten. Zwar sah er „hier und da ein aufgeblasenes, dummstolzes Aristokratengesicht aus der Menge hervor-glotzen“, doch waren auch für ihn die meisten preußischen Offiziere „schöne, kräftige, rüstige, lebenslustige Menschen“ und ein erfreulicher Anblick.

Ein ausnahmsweise einmal nicht zugereister Urberliner verfolgte das Geschehen eher nüchterner und mitunter auch sarkastisch - Walter Mehring:

„Die Linden lang! Galopp! Galopp!
Zu Fuß, zu Pferd, zu zweit!
Mit der Uhr in der Hand, mit´m Hut auf`m Kopp
Keine Zeit! Keine Zeit! Keine Zeit!
Man knutscht, man küßt, man boxt, man ringt,
Een Pneu zerplatzt, die Taxe springt!
Mit eenmal kracht das Mieder!“

Wenig später war es mit dem lustigen „Galopp! Galopp!“ bekanntlich auch schon vorbei, auch auf der Straße Unter den Linden. Der 1847 am Pariser Platz zur Welt gekommene Max Liebermann kommentierte den aus seinem Fenster beobachteten nächtlichen Fackelzug der braunen Horden durch das Brandenburger Tor am 30. Januar 1933 (Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler) drakonisch: „Ick kann ja nich so ville fressen, wie ick kotzen möchte.“

In den späten dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die Linden als Flaniermeile weniger genannt, war sie doch auch schon zu einer „Aufmarschmeile“ und Autostraße durch die Nazis umgebaut (1934) „Die Zeiten für Berliner Spaziergänge sind der frühe Morgen und der späte Nachmittag. Die Gelegenheiten sind die Wege längs der Kanäle, die Parks, die Berliner Altstadt und die Vororte.“ Die euphorische Erstnennung der Straße Unter den Linden unterblieb.

In den Jahren der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik war die Straße wiederum beliebt unter einheimischen Spaziergängerinnen und Spaziergängern und auch unter Gästen, wurde aber immer wieder auch als Aufmarsch- und Paradestraße genutzt. Die bekannte Schriftstellerin Christa Wolf hatte eine „ganz normale“ Beziehung zur Prachtmeile: „Unter den Linden bin ich immer gerne gegangen. Am liebsten, du weißt es, allein. Neulich, nachdem ich sie lange gemieden hatte, ist mir die Straße im Traum erschienen.“ Und sie berichtete von ganz alltäglichen und doch geheimnisvollen Begebenheiten.

Waren auch die literarischen Ergüsse über das Flanieren Unter den Linden in der Regel nicht auffallend qualitätsvoll, so inspirierte die Straße immerhin zahlreiche Schriftsteller zu Werken der Weltliteratur, so z.B. Heinrich Mann, bezeichnenderweise zu seinem Roman „Der Untertan“. Seine direkte Äußerung war allerdings knapp: „[…] die Straße Unter den Linden […] hat bis zuletzt meine Ehrfurcht erregt.“

Der wohl berühmteste Ausspruch über die „altbewährte Promenade der Lebensfreude“ ist wiederum von Heinrich Heine, gerichtet an eine Dame, die er am Abend zuvor näher kennenzulernen die Freude hatte:

„Blamier´ mich nicht, mein schönes Kind,
Und grüß mich nicht unter den Linden.“

Quellenangaben finden Sie in der PDF-Version im Download-Bereich.